Neuanfang zwischen Identitätskrise und Systemtreue
- Anna Schüller
- 4. Aug. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Dez. 2024
Raus aus der Uniform - rein ins leben

Vor knapp einem Jahr, am 30.06.2023, verließ ich nach 13 Jahren die Bundeswehr. Obwohl es noch nicht so wahnsinnig lange her ist, kann ich schon jetzt sagen, dass dieser Schritt längst überfällig war und mein Leben veränderte.
Lass dich gerne von meinen Impulsen ermutigen und schau, was du für dich mitnehmen kannst.
Ich denke jeder und jede von uns kennt das Gefühl eine Rolle einzunehmen, denn das tun wir jeden Tag. Wir finden uns in Rollen wieder, wie Mutter/Vater, Bruder/Schwester, Tochter/Sohn, Freund*in, Chef*in, Mitarbeiter*in, Leiter*in von Abteilung XY, Verantwortliche*r für irgendwas usw.
Eine Rolle an sich ist noch nichts Tragisches. Wenn wir für diese Rolle jedoch eine Maske aufsetzen müssen, da wir ihr mit unserem natürlichen Sein, nicht gerecht werden oder denken ihr nicht anders gerecht werden zu können, kann uns diese Maske unglücklich und irgendwann auch krank machen.
Einigen Menschen sind wir zu viel, anderen zu wenig, manchen zu laut und wieder anderen zu leise. Zu schrill, zu bunt, zu schüchtern, zu emotional, zu gefühlskalt, zu, zu, zu…..
Aber wem wollen wir es denn eigentlich recht machen? Allen anderen oder uns selbst?
Wen wollen wir glücklich machen? Andere Menschen oder uns selbst?
Wie wäre es mit uns selbst? Denn erst wenn wir selbst glücklich sind und unser wahres Selbst leben, können wir auch andere glücklich machen. Und ich rede hier von Menschen, die uns wichtig sind. Nicht von allen anderen Menschen da draußen in der Welt, die ganz vielleicht irgendeine Erwartung an uns haben könnten.
Vorsicht Kalenderspruch:
Du bist nicht auf der Welt, um so zu sein wie andere dich gerne hätten!
Ok, und was hat das jetzt mit der Einleitung und der Bundeswehr zu tun?
Auch ich trug über Jahre eine Maske
Starre Strukturen und Regeln, Hierarchien und klare Zuständigkeiten - alles in Ordnung und teils unabdingbar in einer Armee. In der Welt aus Rechten und Pflichten lernt man jedoch eher seine Rechte zu vernachlässigen und seine Pflichten dafür umso ernster zu nehmen. Oder habe ich mir diese Wahl selbst auferlegt?
Von einem Soldaten wird einiges erwartet, vor allem von einem Offizier.
Mobilität und ständige Versetzbarkeit in ganz Deutschland, Flexibilität und eine hohe Frustrationstoleranz, Loyalität und Treue, körperliche und geistige Belastbarkeit, stets ein Vorbild sein.
Aber vor allem: Sich selbst zurückstellen.
Das tat ich, viel zu lange.
Zu den Fremderwartungen an mich kamen meine eigenen dazu. Wie bei vielen, waren meine Erwartungen an mich selbst wohl noch viel höher angesetzt.
Schnell landete ich in extremen Denkweisen, welche nur aus „ich muss“ und „ich darf nicht“ bestanden. Und so formte und kreierte ich, über Jahre hinweg, sorgfältig eine Frau in Uniform, die mit mir selbst nicht mehr viel zu tun hatte.
Identitätskrise

Von mir selbst unbemerkt wurde ich die „Eisprinzessin mit dem Bitchface“. (Hier spielten auch private Umstände und Erlebnisse mit rein, dies ist aber eine andere Geschichte.)
Meine Einstellung - ich hasse Menschen - trug ich frei nach außen und baute mir so eine Mauer auf, die alle Menschen erfolgreich von mir fernhielt.
Sehr ungünstig, wenn man als Offizier Menschen führt. Daher versuchte ich die Maske wieder etwas abzulegen als ich Führungsverantwortung übernahm.
Die Gratwanderung zwischen beiden Welten kostete mich jedoch enorm viel Kraft.
Als ich Anfang 2019 dann auch noch von Vorgesetzten zu hören bekam, ich solle nicht immer so gute Laune haben und so viel lachen sowie die Aussage ich sei zu weich, wenn ich meinen unterstellten Soldaten auf Augenhöhe begegnete, dämmerte mir einmal mehr, dass ich in diesem Beruf niemals ich selbst werde sein dürfen.
Doch wer war ich denn überhaupt, wenn ich versuchte ich selbst zu sein?
Ich spielte dieses Spiel so lange, dass ich vergaß wer ich ohne diese Uniform wirklich war.
Zuletzt liefen mir jeden Morgen die Tränen über die Wangen, als ich vor dem Spiegel meine Uniform zurechtrückte und prüfte, ob alles vorschriftsmäßig saß.
Vorbild sein. Zumindest dem Anschein nach.
Zu diesem Zeitpunkt war ich mental völlig am Ende und bereits krank. (Mehr dazu kannst du in den weiteren Blogartikeln lesen.)
Erkennst du dich wieder oder denkst du „ok, trauriges Einzelschicksal, aber was soll ICH damit jetzt anfangen?“
Ich sage es dir.
Finde ein passendes System oder erschaffe es selbst.
Ich schreibe hier keine Hate Speech über die Bundeswehr! Ich sage lediglich, dass ich nicht in dieses System gepasst habe.
Man kann mit dem Herzen und aus Überzeugung einem Beruf nachgehen und trotzdem mit den äußeren Gegebenheiten nicht kompatibel sein.
Dies betrifft auch nicht ausschließlich das Militär. Systeme gibt es überall, in jedem Unternehmen, in Familien, Vereinen oder auch das gesamt deutsche System. Wir werden in Systeme hineingeboren, ob wir wollen oder nicht.
Vor allem wenn man in jungen Jahren, wie ich mit 19, einen Beruf ergreift, ganz gleich welchen, kann es sein, dass man sich aus diesem heraus entwickelt, je älter man wird. Der Charakter und die Persönlichkeit reifen und entwickeln sich, das Leben passiert und schleichend fühlt man sich nicht mehr wohl mit dem damaligen Traumberuf.
Wichtig ist dies zu erkennen und nicht zu ignorieren!
Du musst nicht in jedes System passen!
Auch wenn das Herz an diesem Beruf hängt und ein Jobwechsel oder ein Verlassen des Systems erstmal weh tut, ist es wichtig zu reagieren.
Ich tat es zu spät, was natürlich auch der Verpflichtungszeit von 13 Jahren geschuldet war. Aber auch meinem Stolz, meiner Sturheit und meiner antrainierten „nicht aufgeben Mentalität“.
Es dauerte lange zu erkennen, dass die Entscheidung für mich, meine Gesundheit und meine Freude kein aufgeben war.
SICH FÜR SICH SELBST ZU ENTSCHEIDEN, IST KEIN AUFGEBEN UND KEINE SCHWÄCHE!
Es ist mutig und lohnt sich immer! Es ist eine Liebeserklärung an sich selbst!
Heute fühle ich mich frei, kann wieder ich selbst sein und werde nicht mehr für mein Lachen verurteilt. Nun ist es an mir, meine tiefe Überzeugung umzulenken, ihr eine neue Form zu geben und mein Leben selbst zu kreieren, was ich gerade tue, indem ich meinen ersten Blogartikel schreibe.
Kribbelt es ein bisschen in dir? Hast du ein dumpfes Gefühl? Verspürst du einen Drang aber du weißt nicht wonach?
Lass es wirken und höre deinem Körper zu. Er zeigt dir deinen Weg.
Lies gerne all die Blogartikel, die ab jetzt regelmäßig folgen werden. Vielleicht löst einer ein kleines Kribbeln in dir aus.
Melde dich gerne bei mir, wenn du Fragen oder Anregungen hast.
Ich freue mich auf dich, bis bald!
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